Wie ich nach Deutschland kam – mein erstes Jahr

Es war der 18.03.2002, einen Tag vor meinem 27ten Geburtstag. Ich war in Madrid und habe dort 7 Monate gelebt, kam aber nicht mit den Uhrzeiten der Spanier klar und fand die Einheimischen auch sehr verschlossen und vorurteilsbehaftet gegenüber Südamerikanern. Im Grunde genommen wollte ich etwas anderes sehen. Deswegen habe ich das Angebot einer Italienerin angenommen, nach Deutschland zu kommen und in ihrer Eisdiele für eine Saison zu arbeiten. Ich hatte mir damals gedacht: „Eine Saison arbeiten, das Geld sparen und weiter in Europa verreisen“. So war der Plan. Ich konnte aber nicht ahnen, welche großartigen Freunde ich hier finden würde, wodurch ich mich sehr gut und willkommen in diesem Land gefühlt habe.

Der Anfang war hart. Die Italienerin, die mich eingestellte, meinte, die Eisdiele wäre in Hamburg. Das haben wir alles per Telefon ausgemacht, ich war vorher noch nie in Deutschland gewesen, konnte kein Deutsch und kannte auch niemanden hier. Ich bin von Madrid nach Hamburg geflogen und dort wartete ein Taxi auf mich, das mich zur Eisdiele fuhr. Ich stieg in das Auto ein und der Fahrer fuhr und fuhr immer weiter aus Hamburg raus. Irgendwann habe ich ihn gefragt, ob die Eisdiele nicht in Hamburg wäre. Er meine „nein, in Timmendorfer Strand“. „Where?“ „Beach“, antwortete er. „Beach? „In Deutschland?“ Ich war verwirrt, aber ich hatte keine andere Wahl als weiterzufahren.

Angekommen am Timmendorfer Strand war das Wetter grau und kalt. Alle Läden waren zu, nur die Eisdiele hatte geöffnet. Ich hatte ein Handy aus Spanien, damals noch kein Smartphone, mit einer Prepaid Karte, die für jede SMS oder jeden Anruf Gebührenbuchte. Nach ein paar SMS an eine Freundin aus Madrid war mein Guthaben schon aufgebraucht und ich konnte die Karte in Deutschland auch nicht mehr aufladen.
Am nächsten Tag, meinem Geburtstag, hat die Chefin mir den Tag frei gegeben, damit ich meine Sachen ordnen konnte. Ich habe ein Internetcafé gesucht, um mit meiner Familie zu telefonieren oder zumindest eine E-Mail zu schreiben. Es gab kein Internetcafé am Timmendorfer Strand. Irgendwann habe ich ein Hotel gefunden und gefragt, ob ich ihr Internet nutzen durfte. Und so habe ich Emails an meine Familie und Freund in Brasilien geschickt und erzählt, dass er mir gut geht.

Nach einem Monat hat die Italienerin mich rausgeschmissen. Sie fand mich zu langsam für die Arbeit. Ich kannte niemanden und wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Mauro, ein italienischer Mitarbeiter der Eisdiele sagte mir, ich solle nach Hannover gehen und bei der Eisdiele Colosseum am Hauptbahnhof fragen, ob es eine Stelle für mich gäbe. Die Eisdiele wäre groß und sie bräuchen immer Leute.

Und so habe ich meine Sachen gepackt und bin ungewiss nach Hannover gefahren. Ich habe in einem Zimmer in einer Jugendherberge übernachtet und am nächsten Tag bin ich zur Eisdiele am Hauptbahnhof gegangen. Der Chef hatte eine Stelle für mich. Ich konnte schon am nächsten Tag anfangen und in der Wohnung mit 8 anderen portugiesischen und brasilianischen Mitarbeitern wohnen. Das war der Deal: 10 – 12 Stunden am Tag, 6 Tage der Woche arbeiten und „umsonst“ bei denen wohnen.

Ich arbeitete von 13 Uhr bis zur Schließung der Eisdiele um 22 Uhr und durfte noch mit anderen aus der Schicht alles sauber machen. Wenn wir Glück hatten und nicht viel los war, waren wir um 23:30 fertig. Meine Eltern haben mich in der Zeit besucht. Sie waren verzweifelt, als sie mich dort gesehen haben. Sie konnten nicht verstehen, wieso ich mir sowas antat. Ich wusste es auch nicht, ich wusste nur, dass ich bleiben wollte, so hart wie es war, ich wollte nicht zurück nach Brasilien und auch nirgendwo anders hin.

Und die WM 2002. Es war eine unglaublich gute Stimmung in Deutschland, alle waren unterwegs, freundlich, das Wetter war gut und so habe ich Plinio und Aroldo, zwei Brasilianer kennengelernt. Sie waren in der Eisdiele und haben Eis bei mir gekauft. Ich habe sie Portugiesisch sprechen hören und wir haben Telefonnummern ausgetauscht. Plinio und seine Freundin Anja haben mir eine neue Welt gezeigt, sie haben mich zu Partys eingeladen, haben mir ihre deutschen Freunde vorgestellt und alle waren sehr herzlich, nett und interessiert. Als ich frei hatte, war ich mit ihnen Fußball schauen und bin feiern gegangen.

Gegen Ende der WM hat mir der italienische Freund vom Timmendorfer Strand gesagt, dass eine Familie aus Lübeck, die auch eine Eisdiele hatte, jemanden brauchte, um die Saison fertig zu machen. Ich würde dort ein eigenes Zimmer für mich haben und bessere Arbeitsbedingungen. Da die Arbeitszeiten in Hannover immer mehr wurden, ich ein Zimmer mit 3 andere Leuten teilte und in der Wohnung insgesamt 8 Personen waren, entschied ich mich nach Lübeck zu gehen und dort bis Ende der Saison (Anfang September) zu arbeiten.

In Lübeck lebte ich bei der Familie Scussel, mit der ich bis heute Kontakt habe und sehr gut aufgenommen wurde. Dort herrschte ein familiäres Klima, wir aßen alle zusammen, hatten Spaß und ich habe ab und zu auf den Sohn der Besitzer aufgepasst. Es war eine sehr schöne Zeit. In Lübeck habe ich das Finale Brasilien gegen Deutschland geschaut und ich fand es unglaublich schön, wie die Deutschen mir nach dem Spiel gratuliert haben und gemeinsam mit den Brasilianern, die in Lübeck waren, gefeiert haben.

Nach dem Ende der Saison ist die Familie Scussel zurück nach Italien gefahren und ich habe meinen Freund Plinio in Hannover angerufen und gefragt, ob ich eine Zeit lang bei ihnen wohnen dürfte. Ich habe mich entschieden, in Deutschland zu bleiben.

Plinio und Anja haben mir dann geholfen, mein Leben in Deutschland zu organisieren. Sie haben mir bei der ganzen Bürokratie geholfen, von der Anmeldung in der Stadt bis hin zur Krankenversicherung, bei der WG-Zimmer Suche bis zur deutschen Sprachschule. Sie haben mir auch ein Fahrrad organisiert und so habe ich eine Freiheit kennengelernt, die ich vorher nicht kannte: mit dem Fahrrad zu den Partys zu fahren. Es war für mich etwas ganz Neues und Besonderes, etwas Unvorstellbares in Brasilien. Ich war das erste Mal auf der Wiesn und auch beim Karneval in Köln.

Und nach einem harten Jahr in Deutschland, konnte ich meinen 28. Geburtstag ganz anders feiern: in meiner WG, mit vielen Freunden, Deutschen und Brasilianern. Ich war angekommen.

Christian habe ich im Mai 2003 in Hannover kennengelernt. Das ist aber ein anderes Kapitel meiner Geschichte.

Larissa d’Avila da Costa, Gilching März 2022